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Bei der ausverkauften Westerwälder Kabarettnacht präsentierten sich Finanzkabarettist Chin Meyer, Thomas Freitag und die sensationelle Couplet AG. Bei der ausverkauften Westerwälder Kabarettnacht präsentierten sich Finanzkabarettist Chin Meyer, Thomas Freitag und die sensationelle Couplet AG. (Foto: Anken Bohnhorst-Vollmer)

Westerwälder Kabarettnacht: Über die Lust der Steuerfahndung

Zwei Tage lang herrschte in der Oberelberter Stelzenbachhalle der kulturelle Ausnahmezustand.

Oberelbert. Bei der ausverkauften Westerwälder Kabarettnacht präsentierten sich Finanzkabarettist Chin Meyer, Thomas Freitag und die sensationelle Couplet AG.

Kabarett funktioniert, wenn bestimmte Reizwörter besonders wirkungsvoll platziert werden. „Finanzamt“ etwa ist ein Begriff, der auf der Kleinkunstbühne eine schnelle Pointe garantiert. Für noch mehr Vergnügen kann „Steuerfahndung“ sorgen, weshalb Kabarettist Chin Meyer sich nicht nur Finanzkabarettist nennt, sondern gleich noch die Kultfigur, Steuerfahnder Siegmund von Treiber, geschaffen hat: Die Haarsträhnen liegen in exakter Anordnung über dem Schädel, die geröteten Augen blinzeln durch große Brillengläser, im dunkelgrauen Anzug stecken drei Kugelschreiber in den Farben schwarz, rot und gelb, und die schwarze Aktentasche ist unförmig ausgebeult. Dieser Prototyp eines Steuerfahnders stand bei der Westerwälder Kabarettnacht auf der Bühne, zwischen Thomas Freitag, der seine Jubiläumsedition „Nur das Beste“ am ersten Abend des zweitägigen Events präsentiert hatte, und dem großartigen Musikkabarett-Quartett Couplet AG.

Für Steuerblindschleichen

Chin Meyers Programm heißt „Reichmacher“ und wendet sich an „Steuerblindschleichen, Tupperparty-Gastgeber und Aldi-Nachrechner“ ebenso wie an „blondgefärbte Zweitfrauen“. Für jeden soll etwas dabei sein in dieser schrägen, bisweilen überdrehten Jagd nach Wortwitzen, die sich gegen die „ewige Jammerei“ der Steuerzahler richtet. Dabei müsse man nur „volkswirtschaftlich denken“ und die Staatsverschuldung durch die Steuerfahndung minimieren lassen, empfiehlt der Steuerfahnder in spitzem Diskant. Er plädiert für das Rauchen, weil so die finanzielle Unterstützung von Kindertagesstätten sichergestellt werde, und gegen gesunde Ernährung, weil man dann ewig lebe – und „das auch noch schlecht gelaunt“. Eine weitere Erkenntnis des Abends ist, dass deutsche Finanzämter die häufig angekündigte Kavallerie schon deshalb nicht schicken, weil die meisten Finanzbeamten nicht reiten können.

Der schnelle Lacher ist Chin Meyer sicher. Die Auftritte des Siegmund von Treiber sind kurzweilig unterhaltsam, die Pointen aber nicht immer ganz frisch. Denn Betreuungsgeld für Politiker anzuregen, ist ebenso wenig neu wie die Forderung, in Bayern nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für die dort lebende Bevölkerung Hochdeutsch als allgemeingültige Sprache einzuführen. Als kabarettistisches Tischfeuerwerk reichte das aus, was der Künstler in der Stelzenbachhalle bot. Aber die Haltbarkeit dieser Späße ist kurz, jedenfalls verglichen mit den musikalischen Knalleffekten der Couplet AG, einem bayerischen Quartett, das alte Couplets zu neuem Glanz aufpeppt – und alte Herren ebenso. Zum Beispiel in ihrer mitreißender Version von „Nehman’s an Oidn“, bei der Sängerin Bianca Bachmann aktuelle und weniger aktuelle Politiker anbot, mit Falten, Glatze oder Doppelkinn – „dann langen’S halt doppelt hin“.

Ü-Ei Horst Seehofer

Köstlich gerieten auch die Singspiele über Kinderwagen-bewaffnete Latte-Macchiato-Mütter, transferfreudige Spielerfrauen oder „Rasso vom Inkasso“. Der Höhepunkt des Abends aber war das Loblied auf das mit bittersüßer Ironie überzogene Überraschungsei Horst Seehofer, bei dem man „nie weiß, was drin ist“ – ein abgegriffener Fußballkaiser, ein abgelaufener Papst oder eben ein König spielender Ministerpräsident. Eine bessere Einstimmung aufs „Osterfest Bavariae“ kann man sich nicht wünschen. Diese Kleinkünstler sollten unbedingt wieder in den Westerwald kommen, schon allein damit ihr in original oberbayerisch vorgetragener Humor von allen verstanden wird.

Additional Info

  • Quelle: Nassauische Neue Presse
  • Autor: Anken Bohnhorst-Vollmer
  • Datum: 17.03.2016